Was hat Schreiben mit Laufen zu tun?
Beides ist Teil von mir und gehört zu meinem Leben. Ich bin keine Wettkampfläuferin, die Qualität des Laufens ist für mich das Alleinsein in der Natur, die Ruhe und auch die körperliche Anstrengung – ein für mich idealer Ausgleich zur Kopfarbeit. Das Laufen bedeutet für mich, das Wieder-in-den-Körper-kommen. Meine Laufschuhe habe ich auf jeder noch so kurzen Reise dabei. Ich liebe es, meine nächste Umgebung laufenderweise zu entdecken. Zugegeben, das muss nicht immer so sportlich sein. Doch so erkunde ich schon im Voraus, welche Orte einer fremden Stadt ich nochmals langsamer besuchen möchte.
Wenn ich, egal in welchem Tempo, zu Fuß unterwegs bin, erlebe ich Atmosphäre, fange Stimmungen auf, nehme andere Menschen anders wahr und komme an Orte, die ich mit dem Auto oder mit den öffentlichen Verkehrsmitteln niemals entdeckt hätte, wohin es mich vielleicht auch nicht einmal „gezogen“ hätte: Ein stillgelegtes Industriegebiet am Fluss, Schreberkolonien, Orte mit keiner reizvollen Aussicht, aber dennoch mit Atmosphäre und voller Geschichten. Die oftmals in solchen Augenblicken beginnen Form anzunehmen. Einzelne Bilder, die sich mir einprägen und die ich zunächst einfach nur aufnehme, wertfrei speichere und wirken lasse. Vielleicht wird was draus, aber das ist nicht mein Anspruch. Das Werden kommt von alleine, wenn es will. Dieser gesamte Prozess gehört dazu.
Ich nenne es „weiche“ Arbeit. Komplizierte Satzkonstruktionen werden einfacher, ein Knoten im Plot löst sich von alleine, eine neue Figur taucht auf oder eine Figur zeigt eine völlig andere Facette von sich. Jemand ruft jemand anderem etwas zu und mir ist es schon passiert, das genau dieser Zuruf nachwirkt, etwas in meiner Geschichte oder meiner Szene auslöst, wie ein Stein, den man ins Wasser wirft und der Kreise zieht, alles andere beeinflusst, nur durch die Wellen, die entstehen. Überall habe ich ein kleines Notizbuch manchmal auch nur eine herausgerissenen Seite eines Blocks und einen Stift bei mir, denn manch Gedankenblitz ist extrem flüchtig. So halte ich oft kurz an, notiere mir etwas, um dann weiter zu laufen.
Schreiben kann ich überall. Ob ich nun in der Bahn sitze, irgendwo warten muss oder sonstwie unterwegs bin. Meistens entstehen gerade, wenn ich unterwegs bin die ersten Skizzen und Konstrukte für Beiträge, für Szenen, für eine neue Geschichte. Manchmal sind es nur einzelne Fragmente, die sich dann manchmal wundersamerweise später in etwas Größeres einfügen, als hätte diese erste kleine Szene schon gewusst, dass sie zu etwas gehört, was erst noch entstehen wird. Dieses Vertrauen habe ich in meine Arbeit gewonnen.
Großen, neuen Ideen, die in mir eine Weile gären und irgendwie „rauswollen“, oder Texte, die ich schreiben muss und an die ich mich noch nicht rantraue nähere ich mich mit dem freien Schreiben: Jeden Morgen, wenn die Ratio noch schläft, und auch noch die Familie, schreibe ich ein paar Seiten runter, was kommt, einen Kaffee an meiner Seite.
Das handschriftliche Schreiben ist für mich ebenfalls eine Stufe des Entstehungsprozesses jedweden Textes. Manchmal ruht ein Text oder ein Entwurf monatelang, wird vergessen oder ich erinnere mich wieder daran beim Schreiben eines anderen Textes, verwerfe und greife wieder auf.
Die Arbeit am Computer, wenn ich meine Texte schließlich eintippe, das nenne ich die „harte“ Arbeit. Hier passiert noch einmal sehr viel: Niemals übertrage ich den Text nur eins zu eins. Er entwickelt sich im Eintippen nochmal selbstständig weiter.
Bei meinen täglichen Läufen regeniere ich meine „Kreativbatterie“. Die oft überschäumenden und chaotischen Gedanken und Ideen ordnen sich. All das, was in der Schreibarbeit entsteht, wird beim Laufen in mir mit Sauerstoff angereichert und erlangt Farbe. Ich erde mich und schöpfe Mut, meine Texte zu Papier zu bringen.