Meda Mildenberger 14

Meda Mildenberger 14

Der Gedanke ist durchgeschlagen. Gekündigt habe ich zwar nicht, aber ich bin in den Bergen. Einfach so. Am nächsten Tag gefahren, ohne jemanden Bescheid zu sagen. Seit Monaten denke ich immer wieder daran. An den Ort, an dem ich meine Ferien als Kind verbrachte. Ich hatte ihn vergessen, er war von meiner Lebensoberfläche verschwunden, nur manchmal, da träumte ich von den Bergen. Den Felsen, den Schneefeldern weit oben und den Geröllfeldern, über die nur ein schmaler Trampelpfad führt und die ich nie alleine gegangen bin. Jetzt werde ich nicht drumherum kommen, ums Alleinegehen.

Ich habe den Geruch vergessen, genau wie ich manche Wörter vergesse, die ich früher oft benutzt habe, dann aber lange nicht mehr ausgesprochen habe, weil sie nicht mehr in meiner Realität vorkamen.

Jetzt stehe ich also vorm Berg, muss hinauf, alleine. Gott sei Dank alleine. Ich bin überwältigt von den Bildern und den Erinnerungen, die plötzlich, nach langer Zeit, mir vor Augen stehen: Mein Vater in seinem karierten Hemd, immer mit einem Stoffhut, damit die beginnende Glatze nicht vebrennt. Piz Buin Lichtschutzfaktor 6 in der braunen Tube, der Geruch, allgegenwärtig, da meine Mutter mich pausenlos damit eincremte. Das braune Paislytuch, das ich als Sonnenschutz dreieckig gefaltet als Kopftuch trug. Die klare, kühle Bergluft, die eigenartig nach Stein riecht. Der Klangteppich aus Kuhglocken und Wassergeplätscher des Bachs, dahinter die grauen, steilen und schweigenden Berge, die mich verstummen lassen.

Das Hotel, in dem ich mit meinen Eltern damals immer abstieg, gibt es zwar noch, war mir aber zu teuer. Also nehme ich vorlieb mit einem kleinen Zimmer in einer Pension für die erste Nacht. Dann mal sehen.

Als ich das Büro verlassen hatte, wusste ich, dass ich nie wieder kommen würde. Das war ein Gedanke und ein Gefühl, das mich anflogen. Ich nahm ihn einfach hin, diesen Gedanken. Ohne mich groß zu scheren. Ging, packte am Abend meine Sachen, trank noch ein Bier bei Charlies und machte alles so, als machte ich es zum letzten Mal. Feierlich, bedächtig.

„Was ist los mit dir, meine Kleine?“ Schmitti entgeht nichts.

„Alles gut.“

„Wer´s glaubt“, sagte er mit einem Achselzucken und trank einen Schluck von seinem Bier. „Ich sehe was, was du nicht siehst“, murmelte er in sein Glas und hatte sich schon wieder abgewendet.

Ich ging, ohne mich zu verabschieden.

Mein Kopf dröhnt vom frühen Aufstehen. Der Rucksack zieht an meinem Rücken. Er ist gefüllt mit belegten Brötchen, Äpfeln und Schokolade. Mit einer Flasche Rivella und einer Flasche Wasser.

Und obwohl ich mir ein sündhaft teures Ticket für alle möglichen Gondeln und Bähnchen gekauft habe: Ich werde ein paar Stunden zu Fuß aufsteigen. Alleine. In den Nebel, der weiter oben ist. Mir ist danach. Mehr als je zuvor.

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