Außer Frau Miglus, meiner Nachbarin, habe ich niemandem Bescheid gesagt. Sie gießt meine Pflanzen, wenn ich mal weg bin.
„Ganz alleine?“, hatte sie mich gefragte.
„Ganz alleine.“
„Ist das nicht gefährlich, so ganz alleine in den Bergen?“
So ganz alleine werde ich gar nicht sein in diesem Monat. Touristen aus der ganzen Welt tummeln sich dort. Arabische Familien, chinesische Wandergruppen in Topausrüstung. Doch sobald man sich etwas von den Seilbahnstationen entfernt, ist man meistens doch schnell alleine. Um so weiter die Wanderung, um so einsamer. Gut so.
Und wenn man, wie ich jetzt, den Berg von unten, ganz ohne Seilbahn, besteigen will, dann sowieso. Ich begegne niemanden.
Zunächst laufe ich durch Wiesen, sah über Zäune in feinsäuberlich gepflegte Gärten, sehe Traktoren, arbeitende Menschen. Einen Schäfer weiter oben, filmreif mit Mantel und Hut, umgeben von 50 Schafen mit bimmelnden Glöckchen, verstreut auf dem steilen Abhang. Ein bellender Hund, der sie umkreist.
Nachdem ich den letzten Hof hinter mir gelassen habe, wandere ich über Wiesen, durchquere auf schlängelnden Pfaden steile Waldwege. Alles ist hier steil. Die Pflanzen verändern sich. Die Laubbäume bleiben hinter mir, nur noch Tannen und Kiefern, die immer kleiner werden, sich in den Abhang klammern, stehen Spalier.
Auf einer Bank sitzend esse ich einen Apfel und blicke nach unten.
Die Häuser, Autos, die Seilbahnstation, klein wie ein Modell. Der Postbus dröhnt und windet sich die schmale Passstraße empor und eine Stunde später wieder runter. Die Gedanken an zu Hause verlieren an Form. Der Trotz, den ich empfunden habe, löst sich mit jedem weiteren Meter in Schweiß und Keuchen auf. Ich denke nichts und alles zugleich und ich begegne mit Gleichmut all den Gedanken.
Sehr lange bin ich nicht mehr gewandert, damals war ich eine andere. Vergällte pubertierend meinen Eltern jede Wanderung, bis sie mich endlich nicht mehr mitnahmen.
Nach vier Stunden Aufstieg bin ich oben. Nur noch niedrige Büsche säumen den Pfad.
Ansonsten: Fels und Nebel. Meine Beine zittern. Ich habe noch viel mehr Hunger. Es beginnt zu regnen und umsichtig, wie ich bin, habe ich keine Regenjacke eingepackt.
„Das Wetter schlägt um“, warnte mich der Wirt, langsam und bemüht in Hochdeutsch.
„Tja“, sage ich halblaut zu mir. Ich kann nichts weiter tun, als weiterzugehen, um zumindest warm zu bleiben. Nach einer Stunde würde ich an eine Hütte kommen, laut Schild. Bewirtet. Ich sehe auf meine Füße und freue mich, dass ich zumindest gute Wanderschuhe habe.