Meda Mildenberger 6

Ich rufe nicht an. Nachdem ich die Zigarette aufgeraucht hatte, erschien mir die Sache doch zu kitschig. Ehrlich: Blumen und Karte. Der Beginn von etwas Wunderbarem.

„Das es das heute noch gibt … „, ich höre förmlich meine Mutter, sehe ihre erstaunte Begeisterung. Spätestens bei diesem Gedanken bin ich vollkommen nüchtern. Über 100 Jahre Emanzipation und sich dann dennoch über die Oldschool-Reaktionär-Romantika freuen mit den Worten „Das es das noch gibt“.

Mechanisch spule ich mein übliches Programm ab: Laufen an der Alster, Workout an einer der Bänke, wie immer treffe ich am Spielplatz Phillies, der stumpf seine Klimmzüge pumpt.

Den Rest vom Tag dümple ich zwischen Küche und Sofa hin und her. Sehe unkonzentriert TV und lese dabei, was natürlich nicht funktioniert. Die Sache mit dem „Rumhängen“ war mir noch nie zufriedenstellend gelungen. Eine Weile stehe ich an der offenen Balkontür und lasse mich an der kalten Novemberluft durchfrieren. Dabei wird mein Kopf klar. Der Versuch mir sein Gesicht noch mal ins Gedächtnis zu rufen, misslingt und das macht mich stutzig und traurig. Denn eigentlich hat mich die Sache mit dem Blumenstrauß und der Karte doch etwas gefreut.

Weil mir nichts besseres einfällt, beschließe ich in der Pinte ein Bier trinken zu gehen. Ein Tag rundum in der Komfortzone. Vertraut verkommene Gestalten, immergleiche und dennoch unterhaltsame Gespräche. Ein paar flippige Studenten, die die Kneipe legendär finden, wie ich damals auch. Nach zwei Stunden und drei Bier und einen Hugo von Jens, gehe ich heim. Angeschwipst, derangiert und irgendwie deprimiert. Aus dem Schrank hole ich  kurzentschlossen die Flasche Scotch, die mein Ex hier hat stehenlassen und gieße mir einen Fingerbreit in ein Glas ein. Schlucke, spüre das Brennen und habe den torfigen Geschmack auf der Zunge. Das Lämpchen am Anrufbeanworter blinkt. Ich zucke mit den Achseln.

 

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