Meda Mildenberger 7

Ich habe keine Lust die Nachricht abzuhören. Vielleicht später, doch nicht jetzt. Ich schminke mich ab – im meinem Alter ist es unverzeihlich es zu vergessen – trinke einen halben Liter Wasser in der Küche und falle dann, ohnmachtsgleich  in meinem Bett in tiefen Schlaf.  Zwei Stunden später wache ich wieder auf.  Nüchtern, dafür mit Kopfschmerzen, die ich verdient habe, denn eigentlich wollte ich doch längst mit diesen sinnlosen immergleichen Kneipenbesuchen aufhören. Nach einem weiteren halben Liter Wasser in der Küche wanke ich fröstelnd zum Tisch und drücke mutig auf den Anrufbeantworter.

„Ich würde mich wahnsinnig freuen, dich wiederzusehen.“ Im Hintergrund die Geräusche einer stark befahrenen Straße zur Rushhour. Fahrradklingeln. „Nach unserem  -äh-  stürmischen Beginn, also, ich würde dich gerne kennenlernen – also, äh, so wirklich.“

Draußen regnet es heftig, Tropfen schlagen an die Scheibe und ich trete ans Fenster und sehe in die Regennacht raus.

Soweit, so gut, denke ich.  Und  fühle mich  geschmeichelt. Ich sehe ihn in einem hellen Trenchcoat die Kriegsstraße entlanggehen, das Handy am Ohr. Oder war das Inspektor Columbo vor meinem geistigen Auge? Der Versuch, mir sein Gesicht ins Gedächtnis zu rufen, misslingt. Darüber erschrecke ich kräftig und muss dem Drang sofort und unbedingt eine zu rauchen mit Macht widerstehen. Anstrengend! Es ist kurz vor vier und ich beschließe gar nichts, außer noch ein paar Stunden zu schlafen.

Der Wecker klingelt schrill und unbarmherzig zur gewohnten „Es-ist-ein-Arbeitstag-Zeit“. Ich habe Gliederschmerzen und keine Energie. Langsam mache ich mich fertig und absolviere meine stumpfes, semidepressives Job- und Laberprogramm.

 

„Meda?“

Ich sehe von meinem Artikel hoch. Vor mir steht Lotte und sieht mich an, als stehe sie schon zwei Stunden um Gehör bittend vor mir.

„Mh?“

„Was ich dich fragen wollte — “

Ein typischer Lottesatzbeginn. Ich unterdrücke ein Augenrollen.

„Also wir wollten dich fragen, ob du nachher mit ins Monte kommst.

Oha, denke ich und kann nicht verhehlen, dass mich die Einladung freut.  Ehrlich. „Klar“, sage ich nur. Ich schiebe meine Papiere zusammen. „Wann – jetzt?“

„Ten minutes“.  Lotte lächelt mich mit ihrem dunkelroten Lippenstiftmund an. Auf ihrem rechten Schneidezahn ist Lippenstift.

„Auf deinem ….“, beginne ich, doch sie hat sich schon umgedreht und steuert ihren Platz an.

Nach meinem langweiligen Hilfsjob setze ich mich manchmal in die Unibib. Schon während meines Studiums saß ich da am liebsten, versank in der betriebsamen Anonymität von Vielen und schrieb dort meine Arbeiten. Ich mag die Atmosphäre. Doch sie erfüllt mich auch mit Wehmut,  besonders,  wenn ich all die jungen, strebsamen Frauen sehe, die wahrscheinlich nicht als Schreibkraft enden. So fing es nämlich an: Ich bummelte zu lange und musste jobben, war angefixt vom Geld und blieb an einem gewissen Lebensstandard, den ich glaubte, haben zu müssen, hängen. Heute weiß ich es besser, doch der Zug scheint mir abgefahren. Was eine müde Ausrede dafür ist, den Arsch nochmal hochzukriegen.

Um mir diese Option offenzuhalten, zumindest emotional, gehe ich mindestens einmal in der Woche dorthin und recherchiere für meine bislang imaginäre Doktorarbeit. Wenn ich tatsächlich bei einem potentiellen Doktorvater umsehen werde, habe ich immerhin schon einen ziemlich genauen Plan. Das erfüllt mich mit Stolz. Manchmal. Meiner Mutter wäre es sicher lieber, ich sähe mich nach einem potentiellen Familienvater um. Doch sie stammt aus einer anderen Ära und kann nicht mitreden, auch wenn sie das noch nicht begriffen hat.

Vielleicht sollte ich es doch noch einmal versuchen? Weniger Geld, weniger Freizeit, dafür die Aussicht auf einen wirklich guten Job? Dass mich zehn Jahre jüngere Studentinnen ins Monte mitnehmen wollen, gibt mir allerdings schon Auftrieb.

 

 

 

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